Kateryna Ostrovska © Luciola Villela

Konzert und Vortrag „FRITZ NOACK UND DIE JÜDISCHE JUGENDBEWEGUNG IN THÜRINGEN“ Lange Nacht der jüdischen Kulturen in Thüringen

Samstag | 11.03.2023 | 19:30 Uhr
Gotha | Tivoli Gotha | Am Tivoli 3 99867 Gotha

Fritz Noack (1890–1968) – Mediziner, Sozialist und Zionist

Fritz Noack stammt aus Landsberg an der Warthe. Nach seinem Medizinstudium in Berlin und Halle arbeitete er zunächst in Berlin und leistete als Arzt mit gerade 24 Jahren Kriegsdienst in Flandern und der Türkei. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges heiratete er und zog 1920 nach Gotha, wo er zunächst im Krankenhaus tätig war und 1921 der einzige jüdische Kreisarzt in Thüringen wurde. Noack war Sozialist und als solcher engagierte er sich in der jüdischen Arbeiterbewegung genauso wie in den Gothaer Arbeiterorganisationen. Er war Mitglied der SPD sowie Ausbilder und Kolonnenführer im Arbeitersamariterbund. Die Gothaer Gruppe des Jungjüdischen Wanderbundes fand in ihm einen Leiter, der nicht nur außerordentlich beliebt war, sondern zudem den Mädchen und Jungen die jüdische Geschichte und Sprache nahebrachte. 1920 gab Fritz Noack ein jüdisches Liederbuch heraus. Bemerkenswert ist auf jeden Fall, dass er das Liederbuch für die relativ kleine Gruppe von Jugendlichen in drei Sprachen – Jiddisch, Hebräisch und Deutsch – in der mittelgroßen ehemaligen Residenzstadt Gotha herausbrachte.
Bisher wenig beachtet, ist die führende Rolle Fritz Noacks in der zionistischen Bewegung in Thüringen. Dabei vermittelte er zwischen den verschiedenen Strömungen, wirkte ausgleichend und schuf eine Zusammenarbeit der bürgerlichen und sozialistischen Richtungen des Zionismus in Thüringen. Er war darüber hinaus vernetzt mit den führenden Frauen und Männern der deutschen jüdischen Organisationen und schrieb Artikel sowie längere Berichte in verschiedenen jüdischen überregionalen Zeitungen.
Schon während der Zeit der Weimarer Republik wurde er antisemitisch angefeindet. Die Nationalsozialisten hetzten in Zeitungen und durch Schreiben an Behörden gegen den einzigen jüdischen Kreisarzt in Thüringen. Gegen Ende der 1920er Jahre wurde seine Arbeit deshalb zunehmend schwieriger. Nach der Machtübertragung an Hitler wanderte er nach Palästina aus und war dort maßgeblich am Aufbau des Gesundheitswesens beteiligt. Er war Vertreter Israels in der WHO.
Der hochgradig engagierte Fritz Noack ist bisher wenig über die Grenzen Gothas hinweg bekannt. Die Broschüre, die sich mit seinem Leben und Schaffen auseinandersetzt, ist in Verbindung mit dem Reprint des erhaltenen Liederbuches eine Bereicherung, zumal wenig über die Facetten und Richtungen des Zionismus sowie die jüdische Jugendbewegung in Thüringen bekannt ist.

Kateryna Ostrovska (UA/DE) und Jonas de Rave (BE) begleiten die Lesung mit einem besonderen Programm aus traditionellen Liedern, es sind sowohl die bekannteren Stücke dabei als auch noch weitgehend unbekannte Archivfunde.
Sie erzählen von Arbeitskampf, Widerstand, Feminismus, Marginalität, Handwerkerperspektive und anderen Aspekten des jüdischen Lebens. Im Programm sind auch Lieder aus Kateryna Ostrovskas vor Kurzem erschienenen Album „Blondzhendike Lider“ (Wandernde Gedichte). Es sind moderne Vertonungen von Gedichten jiddischer Dichterinnen wie Rokhl Korn und Anna Margolin, aber auch von Werken von Dovid Hofsteyn. Letzterer war ein Mitglied der Kiewer Kulturliga und des Jüdischen Antifaschistischen Komitees und wurde in der „Nacht der ermordeten Dichter“ auf Lubjanka ermordert.
Kateryna Ostrovska ist eine aus Kiew stammende, in Hamburg ansässige Sängerin, Gitarristin und Komponistin, die erfolgreich „über kulturelle Grenzen hinweg komponiert“ (NDR Kultur). Sie setzt sich neben Klezmermusik und jiddischem Liedgut intensiv mit brasilianischer Folklore auseinander, was ihr einen frischen und besonderen Blickwinkel auf die eigene Musiktradition ermöglicht. Jonas de Rave ist ein in Gent (Belgien) lebender Multiinstrumentalist (Akkordeon, Klavier, Tsimbl), der sich ebenso neben Klezmer viel mit brasilianischer, kolumbianischer und kapverdischer Folklore beschäftigt. Beide arbeiten seit sechs Jahren zusammen und geben der Shtetlwelt jiddischer Lieder stets einen unverwechselbaren weltbürgerlichen Touch.

Eintritt frei, Spenden erbeten